Dreier zu Norwegens großem Dichter Knut Hamsun - herausdestilliert aus einem Beitrag von Frederik Moche im Augustheft der Konkret. Veröffentlichung dort im Netz. Wenn in einiger Zeit diese Quelle nicht mehr erreichbar sein sollte, findet man den Beitrag unten; die entsprechende Passage ist blau hervorgehoben.

 Verbindung zu dieser - nicht nur wegen Frederiks Beiträgen - lesenswerten Zeitschrift aus Hamburg:

ein anderer Beitrag: "Strengstens erlaubt..."  Dreier mit dem Stern, der links leuchtet - in Hamburg

Nobelpreis für Goebbels

Zum 150. Geburtstag Knut Hamsuns steht die norwegische Kulturindustrie vor einem Problem: Wie gedenkt man eines Autors, der bloß besser schreiben konnte als Ernst Jünger, politisch dem Nationalsozialismus stärker anhing als Gottfried Benn und retrospektiv so selbstgerecht war wie Albert Speer und Leni Riefenstahl zusammen?

Norwegische Literatur für deutsche Leser geht so: Ibsen ist Goethe, und Knut Hamsun ist Thomas Mann. Daran ist mehr als einiges schief, aber um die Bedeutung der beiden auf dem Weltmarkt zu skizzieren, mag es hingehen. Den Deutschen wird es im Hinblick auf ihren Nationaldichter der Moderne allerdings insofern leicht und nachweltkompatibel gemacht, als Thomas Mann sich zur Nazizeit redlich und vorbildlich verhielt, ins Exil ging, seinen Landsleuten mit einer jüdischen Über-Saga, dem "Josephs"-Roman, literarisch die Leviten las und sich nach Kriegsende von niemandem vor den politischen Karren spannen ließ, ja sogar in die Schweiz zog. Solchen Gefallen hat Hamsun seinen Landsleuten nicht getan. Er verfaßte lieber Bücher, die von Außenseitern und Randfiguren handelten, schrieb über Sonderlinge und Verlierernaturen und fügte sich in eine unter einem erweiterten Sozialismusbegriff subsumierbaren literarische Tradition ein - wo er sie nicht gar für sein Heimatland begründete -, deren nationaler Charakter erst im nachhinein und als es für ihn schon zu spät war, genauer unter die Lupe genommen wurde.

Drei Schaffensalter hat Hamsun biographisch interessant und literarisch produktiv hinter sich gebracht. Das erste mit bahnbrechend avantgardistischen Romanen, das zweite mit fast schon serieller Gebrauchsliteratur, das dritte in wohlwollender Anschauung des zivilisatorischen Niedergangs eines Kontinents.

Knut Hamsun wurde am 4. August 1859 als Knut Pedersen in Lom im norwegischen Oppland geboren, benannte sich nach seinem Heimathof Hamsund und schlug sich als Gelegenheitsarbeiter und interessierter Beobachter nahezu auf der halben Welt herum, war Schuster in norwegischen Provinzorten, Prokurist in Oslo, Ethnograph im Nahen Osten und Straßenbahnschaffner in Amerika. Wieder in Norwegen, versucht er zunächst, seine Amerika-Erfahrungen in einer Suada auf das "Geistesleben des modernen Amerika" zu bewältigen, dann als Journalist und Schriftsteller Fuß zu fassen. Erste Erfolge nach wenig beachteten und zu Recht vergessenen Frühwerken kann er 1890 verzeichnen: In Dänemark, seinerzeit die kulturelle Hegemonialmacht in Norwegen, erscheint - zunächst in Auszügen - sein Romanerstling "Hunger" und wenig später der Artikel "Vom unbewußten Seelenleben", letzterer mehr oder weniger eine Handreichung zum Verständnis des Romans und in seiner Wirkung auf die seinerzeit in Europa tonangebende skandinavische Literatur kaum zu überschätzen, ebensowenig wie seine rabulistischen Blutgrätschen gegen den amtierenden Dichterfürsten Ibsen.

In "Hunger" wie in der flankierenden Programmschrift geht es um die Etablierung eines hemmungslos subjektiven Erzählers in literarischen Texten - wir werden Zeugen der Delirien, Träume und Verspultheiten eines nervlich schwer unter Druck stehenden Lohnschreibers und Versuchsbohemiens. Mit einer solchen Offenlegung der autobiographischen und literarisch vivisektionierten Windungen wird nicht nur Freud vorweggenommen, sondern auch der Weg geebnet für Selbstverständlichkeiten der Postmoderne wie der unzuverlässigen Erzählinstanz - die Hamsun in seinem zweiten Roman "Mysterien" praktischerweise gleich selbst vorexerziert. Held Nagel läuft da in einem gelben Anzug durch die Gegend, den man in einem grobkörnigen Schwarzweiß sieht, weil sein mysteriöser Geigenkasten uns im Vorgriff schon an all die Gitarrenkästen der Mafiafilmzeit erinnert.

Hatte "Hunger" noch in Kristiania, dem heutigen Oslo, gespielt - einem damals armseligen Nest (was die skandinavistische Literaturwissenschaft nie daran gehindert hat, den Text als den ersten "Großstadtroman" zu handeln) - ist "Mysterien" in der Provinz angesiedelt. Von diesem Milieu wird sich Hamsun nicht wieder verabschieden. "Pan", der dritte, eingängigste und dabei bestimmt nicht schlechteste (Kurz-)Roman Hamsuns spätestens bildet so den Startpunkt für einen Topos, an dem die Literatur aus Skandinavien bis auf den heutigen Tag zu schleppen hat: diese Natur - immer und immer wieder! Und in irgendeinem Holzhaus, umgeben von bedrohlicher Wildnis, dann tendenzdepressive Gespräche in kleiner Runde über zwischenmenschliche Unmöglichkeiten. All die Wallanders, Stieg-Larsson-Kommissare und namenlosen Jon-Fosse-Bühnengestalten sind Epigonen des fühligen Leutnants Glahn aus Pan und seiner Nachfolger aus der Schreibwerkstatt des norwegischen Einsiedlers.

Zu diesem Zeitpunkt kann man Hamsun den Vergleich mit seinem späteren Spezl Adolf Hitler nicht ersparen: Wie dieser - hätte es ihn im Sommer 1943 irgendwie dahingerafft - heute mit Sicherheit als Gröfaz in den Geschichtsbüchern stünde, so könnte Hamsun heute als Säulenheiliger des skandinavischen Modernismus glänzen, hätte er sich nach Pan in einer Pariser Eckkneipe mit einer Überdosis Absinth ins literarische Walhalla befördert. Aber er mußte ja weitermachen. Und er machte weiter mit einer ganzen Handvoll nicht schlechter, letztlich jedoch mediokrer Romane, deren erfolgreichster "Segen der Erde" von 1917 wird. Explizit für diese Erzählung vom zivilisationsfernen Landleben, dem seither immer wieder (wohl zu Unrecht) eine reaktionäre Grundhaltung vorgeworfen wurde, erhält Hamsun 1920 den Nobelpreis - nicht für sein wagemutiges Frühwerk, nicht für die Durchschnittserzähltexte dazwischen oder gar seine dramatischen Arbeiten.

Auch in "Segen der Erde" ist eine autobiographische Grundierung der Handlung nicht von der Hand zu weisen, ein Konzept, das sich vom Debüt "Hunger" bis zum letzten regulären Roman "Der Ring schließt sich" durch Hamsuns Œuvre zieht: 1917 hatte er sich in seiner Heimatprovinz Hamarøy als Landwirt niedergelassen. Seinen Erfolgsroman, der die Freuden des bedürfnislosen Landlebens und mehr Boden als Blut propagiert, schreibt Hamsun aber, rastlos in Skandinavien herumziehend, in verschiedenen Hotels - das Landstreichermotiv, das auch dem nachfolgenden Zyklus der Herumtreiberromane bis zum im Wortsinne "geschlossenen Ring" von 1936 zugrunde liegt.

Hier endet Hamsuns fiktionale Produktion. Er war nach Nørholm im Süden übergesiedelt und wurde zusehends mehr Gutsherr denn Ackermann, ein Gutsherr - und ein erfolgreicher - mit einer standesgemäßen Dichterhütte auf dem Anwesen. Seither und durch die gesamte NS-Besatzungszeit hindurch dilettiert der mittlerweile würdig ergraute einzige lebende norwegische Nobelpreisträger auf verschiedenen Gebieten: ein bißchen Landwirtschaft hier, ein wenig journalistische Debatte dort, hin und wieder eine diskrete Einmischung in die überschaubare Kulturszene der Hauptstadt per Brief. Es ist fast schon ein Dilemma. Nichts konnte Hamsun richtig: Zur Mannschen Bürgertümelei fehlte ihm die Erziehung, zur Herumtreiberei der Fin-de-siècle-Boheme die Neigung, zu einer akademischen Laufbahn gleich mehrere Dinge und zum genügsamen Bestellen der heimatlichen Scholle wohl die Geduld. Dafür hatte sein Wort mittlerweile einigermaßen Gewicht, das er vornehmlich dazu nutzte, seinen Landsmännern die Leviten in moralischer und leider zunehmend auch politischer Hinsicht zu lesen.

Nach der Besetzung Norwegens durch die deutsche Wehrmacht im April 1940 machte er sich in einigen Zeitungsartikeln explizit für eine Position stark, die den Deutschen freie Hand ließ. Man kann diese Position als Kollaboration bezeichnen, bloß daß Hamsun dabei auf dem ziemlich zugigen Grat stand, auf dem man zur Rechten diejenigen Landsmänner von sinnlosen Opferungen abhält, die sich dem überlegenen Eroberer entgegenwerfen, zur Linken aber ruckzuck ein Vaterlandsverräter wird - ein Makel, der mit dem Urteil des Verfahrens gegen Hamsun im Jahr 1947 amtlich wurde. Tatsächlich war Hamsun wohl kein gewöhnlicher Kollaborateur, der sich von Deutschenliebesdienerei einen kleinen Bonus erhoffte, sondern eher ein Faschist avant la lettre: Um Hitler und die Seinen wirklich goutieren zu können, fehlte ihm die Radikalität (und die Kenntnis der deutschen Sprache). Seine politische Disposition speiste sich aus erzreaktionärem Standesbewußtsein als nordischer Monolith, einem pathologischen Haß auf alles Angelsächsische, einem halbverdauten Nietzscheanismus - irgendwo spukt ein leicht hinkender Übermensch unter so gut wie jedem seiner Texte herum - und einem fast schon zelebrierten Altersstarrsinn.

Der Mann war gerade 80 geworden, als der Zweite Weltkrieg ausbrach, körperlich verschiedentlich gebrechlich, darüber hinaus "politisch" im Wortsinne nicht interessiert, dafür aber dem Vernehmen nach hypersensibel und schlicht überfordert mit all den Bittstellern und Besserwissern, die seine Fürsprache unter den neuen politischen Gegebenheiten erwarteten. Entsprechend disparat seine teils offiziell, teils brieflich verbreiteten Stellungnahmen aus dieser Zeit: Grönland müsse den Dänen entrissen und den Norwegern zugesprochen werden, bevor es das stets in Anführungszeichen firmierende "Brudervolk" an die USA verscherbelt; Carl von Ossietzky wird 1935 ein hämischer Zeitungsartikel hinterhergeschickt, in dem es heißt, daß es Konzentrationslager ja wohl kaum ohne Grund gäbe; einerseits wirft er seinen Namen für norwegische Widerstandskämpfer in die Waagschale, andererseits verbittet er sich, Kierkegaard von einem Juden kritisieren zu lassen.

All das hätten seine bewunderungsbereiten Landsleute einem verdienstvollen Greis vielleicht noch durchgehen lassen, doch Hamsun überspannt den Bogen schließlich: Nicht nur ruft er Norweger in alliierten Verbänden offen zur Fahnenflucht auf, nicht nur trifft er sich mit Spitzenfunktionären der Nazis in Berlin und (mit vielen komödienhaften Mißverständnissen) Hitler auf dem Berghof, sondern er vermacht seine Nobelpreismedaille allen Ernstes Joseph Goebbels. Der Preis, heißt es im Begleitschreiben, sei ausgelobt worden für herausragende Leistungen auf dem Feld der idealistischen Dichtung, und er, Hamsun, kenne keinen, "der sich Jahr für Jahr so unermüdlich in Wort und Schrift für die Sache Europas und der Menschheit eingesetzt" habe. Goebbels ist ehrlich gerührt: Er liest in den beschwerlichen Kriegstagen Hamsuns Romane vorm Einschlafen - "Hunger" liest er. Kein Witz (Tagebucheintrag vom 7. Juni 1943).

In der letzten Ausgabe der Tageszeitung "Aftenposten", die unter der Zensur der Nasjonal Samling, der norwegischen Faschisten unter Quisling und Terboven, herausgegeben wurde, erschien schließlich am 7. Mai 1945 Hamsuns berüchtigt gewordener Nachruf auf Hitler, eine Woche post festum. Der Verblichene wird dort gefeiert als "ein Krieger für die Menschheit und ein Verkünder des Evangeliums vom Recht für alle Völker", eine "reformatorische Gestalt höchsten Ranges". Diese Uneinsichtigkeit überbietet der greise Dichter nur noch durch die Novelle "Auf überwachsenen Pfaden": Es ist eine Chimäre aus Tagebuch und literarischer Bewältigung der Zeit seines Landesverräterprozesses, während der die neue Regierung in Norwegen den Fall Hamsun dadurch unter den Teppich zu kehren bestrebt ist, den Angeklagten zunächst in ein Altenheim einzuweisen und dann für geisteskrank erklären zu lassen, schließlich zu verurteilen und zu enteignen.

Das Problem der angemessenen Denkmalspflege stellt sich den Norwegern dieses Jahr nun erneut. Norwegische Kulturindustrie für Deutsche: Wie gedenkt man jemandes, der bloß besser schreiben konnte als Ernst Jünger, politisch den Nazis stärker anhing als Benn und retrospektiv so selbstgerecht war wie Speer und Riefenstahl zusammen? Die Sponsorensuche für die 150-Jahr-Feierlichkeiten jedenfalls verlief schleppend.

Frederik Moche schrieb in KONKRET 12/08 über den Umgang der Deutschen mit dem Antisemitismusvorwurf

 

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